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„Ameisen wurden meine besten Freunde“

Interview mit Homayoun Sabetara nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Trikala - 06.01.2025, Thessaloniki

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Im August 2021 wollte Homayoun Sabetara aus dem Iran zu seinen Kindern nach Berlin reisen, wurde jedoch verhaftet, nachdem er ein Auto mit sieben weiteren Personen über die türkisch-griechische Grenze gefahren hatte. In einem unfairen Verfahren wurde er ein Jahr später wegen „Menschenschmuggels“ zu 18 Jahren Haft verurteilt. Trotz fehlender Beweise und einem langwierigen juristischen Kampf wurde sein Urteil erst drei Jahre später im Berufungsverfahren auf 7 Jahre und 4 Monate reduziert. Ein Freispruch blieb ihm jedoch verwehrt. In Thessaloniki spricht er Anfang Januar 2025 mit Kiana Ghaffarizad, Teil des Kampagnenteams von #FreeHomayoun, das erste Mal nach seiner Haftentlassung über seine Erlebnisse und Wünsche für die Zukunft. 

Homayoun Joon, als du am 16. Dezember 24 endlich im Bus nach Thessaloniki saßt: Was ging dir während dieser Fahrt durch den Kopf?

Es freut mich sehr, dass wir heute miteinander sprechen. Endlich, nach über drei Jahren bin ich aus dem Gefängnis entlassen worden. Mein erster Dank gilt den Menschen der Kampagne und all jenen, die sich unermüdlich für die Rechte anderer einsetzen. 

Am 16. Dezember hat mich zuerst die Privatpolizei nach Trikala zur Polizeistation gebracht. Da haben sie mich erneut ausgefragt: „Wo wirst du wohnen? Wen kennst du da? Sprichst du die Sprache?“ Nachdem ich diese ganzen Fragen beantwortet hatte, musste ich ein paar Sachen unterschreiben, und dann haben sie mich zur Bushaltestelle gebracht und gesagt: „Du musst nach Thessaloniki.“

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Ich habe mir also ein Ticket geholt, bin in den Bus gestiegen, und ehrlich gesagt, ich war einfach nur komplett durcheinander. Ich war gerade mal vier oder fünf Stunden aus dem Gefängnis, nach mehr als drei Jahren hinter Gittern. Ich weiß nicht, wie ich mich gefühlt habe. Und ich war gefühlt immer noch nicht raus aus dem Gefängnis. Auch jetzt, wo wir hier sitzen, habe ich nicht das Gefühl, dass ich raus bin. Der Druck vom Gefängnis war einfach so groß. Der Schock war so groß.

Am Anfang, als sie mich festgenommen hatten, hatte ich nur Angst. Ich hatte panische Angst, als sie mich in Untersuchungshaft steckten. Das war meine erste Erfahrung überhaupt, so etwas hatte ich vorher noch nie erlebt, das gab es in meinem Leben einfach nicht. Ich dachte auch nie, dass mir so etwas passieren kann. Aber nun ja, jetzt ist es doch passiert. Und lange Zeit war ich einfach nur verwirrt. Das heißt, ich wusste einfach lange nicht, was passiert ist. Und dann die Bedingungen, die in den griechischen Gefängnissen herrschen – in ihren Untersuchungshaftanstalten noch schlimmer als in den Gefängnissen selbst. 

Und zu deiner Frage, was mir nach der Entlassung durch den Kopf ging – ich weiß nicht. Ein sehr unklares, undefiniertes Gefühl. Ich bin auch sehr froh, weißt du, ich bin wirklich froh! Aber es ist so eine Fröhlichkeit, die nicht richtig greifbar ist. Die so vage ist. Als wäre mein Kopf ganz schwer. Als befände sich mein Körper noch im Tiefschlaf. So in etwa fühlt es sich an.

Wie ist es für dich, nach so langer Zeit hinter Gittern wieder in Freiheit zu sein?


Ich habe kein besonderes Gefühl. Aber ich bin irgendwie ratlos, was diese Welt betrifft. Ich bin einfach sprachlos angesichts der Dinge, die ich in meinem Leben gesehen habe. Dieser Ungerechtigkeiten, die ich im Gefängnis erlebt habe. Ich kann es einfach nicht glauben, dass ich jetzt in Europa bin, hier wo ständig von Menschenrechten die Rede ist, und wo gleichzeitig so viel Ungerechtigkeit, so viel Unterdrückung und Gewalt existieren. Ich kann das einfach nicht zusammenbringen, dieses Puzzle ergibt für mich keinen Sinn. Ich setze mich hin und versuche es zu begreifen, aber es funktioniert nicht.

Wie hast du die Zeit hinter Gittern bewältigt? Gab es etwas, das dir Kraft gab, diese Zeit zu überleben?

Ich wurde zunächst nach Korydallos in Athen gebracht, in eines der größten Gefängnisse Griechenlands. Dort war ich zunächst ungefähr zehn Tage in Quarantäne, und danach wurde ich in einen Trakt verlegt. Das war ein Kellerraum, ohne Fenster, etwa 24 bis 26 Quadratmeter groß. Es gab sieben oder acht Etagenbetten, und dort sollten normalerweise 14 Leute untergebracht sein. Tatsächlich waren wir dort oft 25 oder 26, manchmal sogar 30 Personen. Die Zahl schwankte ständig. 

Das war ein sehr feuchtes Zimmer. Durch diese Bedingungen habe ich gesundheitliche Probleme bekommen. Jetzt leide ich unter Atembeschwerden, huste ständig, kann nicht mehr tief einatmen. Das hat alles dort im Trakt angefangen.  In diesem Kellerraum war ich etwa eineinhalb Jahre. Diese Zeit hat mich körperlich sehr beinträchtig und sie hat mich psychisch stark belastet.

Meinen Kindern habe ich während dieser Zeit nicht viel erzählt. Ich dachte, wenn ich sie anrufe, würden sie sich nur Sorgen machen. Ich war mir auch sicher, ich werde entlassen, sobald mein Gerichtsverfahren abgeschlossen ist. Aber in Griechenland ist es so, dass du ins Gefängnis kommst und dann erst nach 14 bis 18 Monaten vor Gericht, wo erst geklärt wird, ob du überhaupt schuldig oder unschuldig bist. Also diese Zeit musst du im Gefängnis verbringen. 

Im Kellerraum sagte ich mir immer wieder: Ich habe nichts falsch gemacht. Ich saß nur am Steuer. Und das auch nur, weil der Schmuggler mich dazu gezwungen hatte. Der Schmuggler hatte mir damals gesagt, ich solle fahren, und sie würden mir folgen, das alles wäre problemlos. Ich tat, was er sagte, und fuhr zusammen mit einer kurdisch-irakischen Familie nach Thessaloniki. Dort wurde ich dann gegen 23:30 Uhr von der Polizei verhaftet.

Diese ersten eineinhalb Jahre im Gefängnis waren unglaublich hart. Ich habe lange Zeit keinen Arzt gesehen. Im Gefängnis ist es nicht so, dass du einfach zu einem Arzt kannst, du musst darauf bestehen. Du musst erst kurz vorm Sterben sein, damit sie dich zu einem Arzt bringen. Ich bekam irgendwann kaum noch Luft und dann wurde ich endlich ins Krankenhaus gebracht. Der Arzt bestätigte meinen schlechten Gesundheitszustand und ordnete an, dass ich verlegt werden müsste. 

Daraufhin wurde ich in eine Zelle eine Etage weiter oben verlegt. Das war zumindest eine kleine Verbesserung. Das Zimmer hatte ein kleines Fenster mit Ausblick auf den Gefängnishof. Das war alles, bevor meine Kinder mich besuchen konnten. Ich hatte in der Zeit nichts zum Zeitvertreib. Keine Bücher, keine Hefte zum Schreiben, nichts, nicht einmal Musik. Handys waren sowieso streng verboten. In der Zeit habe ich mich vor allem mit den Ameisen beschäftigt. Die Ameisen wurden in der Zeit zu meinen besten Freunden. Stundenlang saß ich im Hof, schaute ihnen zu, redete mit ihnen, spielte mit ihnen, hielt ihnen meine Finger hin, ließ sie meine Hände hochkrabbeln. So versuchte ich, mich irgendwie über Wasser zu halten.

Mit den anderen Gefangenen konnte ich mich nicht wirklich einlassen, weil viele von ihnen in einer ganz anderen Realität lebten. Bei den meisten von ihnen ging es vor allem um Drogen oder Diebstahl oder sogar Mord. Ihre Gespräche drehten sich ständig um diese Themen, der eine erzählte, er habe das und das gemacht, der andere erzählte, er habe dieses und jenes gemacht. Raum für andere Gespräche gab es nicht.

In den griechischen Gefängnissen – ich weiß nicht, wie es anderswo ist – gibt es Drogen im Überfluss. Alle möglichen Drogen, alles, was du dir vorstellen kannst und sie werden direkt von den Wachleuten selbst ins Gefängnis geschafft. Und die meisten Leute konsumierten ihre Drogen. Dadurch war die Luft im Raum sehr schlecht. Der Raum, dieser Kellerraum, in dem ich war, war sehr verschlossen, und die Luft war durchgehend voller Rauch von den Drogen. Es gab nur eine kleine Öffnung im Fenster, und ich stand oft dort, um zumindest ein wenig atmen zu können. Es war wirklich unglaublich schwer. 

Aber weißt du, egal wie sehr ich versuche, dir diese Zeit im Gefängnis zu beschreiben, du wirst es wahrscheinlich nie richtig nachvollziehen können. Eine solche Erfahrung kann man nur verstehen, wenn man sie selbst durchlebt hat. Was ich im Gefängnis gemacht habe, um mich zu beschäftigen? Irgendwann konnte mir Mahtab Rätselhefte, Bücher, ein Tagebuch, alles Mögliche ins Gefängnis bringen. Sie gab mir auch einen MP3-Player. All das half mir, mich abzulenken und diese Zeit zu überstehen.

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Nach deiner Verurteilung hat Mahtab, deine Tochter, die Kampagne #FreeHomayoun ins Leben gerufen. Welche Bedeutung hatte diese Kampagne für dich persönlich?

Ich weiß nicht mehr genau, wann Mahtab zu mir Kontakt aufnehmen konnte. Als sie mir dann von der Kampagne erzählte, habe ich nicht daran geglaubt. Ich war einfach nicht überzeugt, dass eine solche Kampagne tatsächlich etwas bewirken könnte, dass sie mir helfen könnte. Ich hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass daraus etwas Wichtiges entstehen könnte. Aber dann, nach einer Weile, als Mahtab mir dann einige Bilder schicken konnte, fing ich an, Hoffnung zu schöpfen. 

Im Gefängnis gab es ein geschmuggeltes Handy, das gehörte einem der Gefangenen, der war so eine Art „Boss“ oder Mafiosi dort. Mit diesem Handy konnte ich mit Mahtab in Kontakt sein und sie schickte mir Nachrichten und erzählte mir, was die Kampagne unternommen hatte. Dadurch wichen meine Zweifel langsam. Mahtab sprach so oft es ging mit mir und erzählte mir, was sie alles geschafft hatte und welche Fortschritte es in der Kampagne gab. 

Am Ende verwandelte sich die Kampagne zu meinem einzigen Strohhalm, denn ich hatte überhaupt keine Zuversicht, dass die Berufungsgerichte in Griechenland ohne Druck von außen mein Urteil mildern oder mich freilassen würden. Denn in Griechenland sind die Gerichte größtenteils rassistisch. Vielleicht ist das nicht das passende Wort, aber die meisten Richter behandeln Migranten mit Vorurteilen und haben generell kein gutes Verhältnis zu ihnen. Besonders gegen migrantische Gefangene gehen sie sehr hart vor. 

Zu der Zeit, als ich verhaftet wurde, regierte, soweit ich mich erinnere, die Syriza-Partei, oder vielleicht war sie kurz zuvor in der Regierung gewesen. Die anderen Gefangenen meinten, dass es für Migranten und Gefangene unter dieser Partei ein bisschen besser sei – die Urteile wären weniger hart. Aber trotzdem war die Situation für migrantische Gefangene sehr schwierig. 

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Magst du beschreiben, wie du den Umgang der griechischen Behörden mit dir erlebt hast?

Nach meiner Festnahme im August 2021 brachte mich die Polizei zunächst in eine Art Haftanstalt, die war nicht einmal eine Polizeistation. Es war ein privater Ort, ein kleiner Raum – oder besser gesagt, eine Art Verlies. Der Raum war halbdunkel, mit einer kleinen Lampe, die nur schwach leuchtete. Es gab – entschuldige bitte meine Worte – nur eine Schüssel, die stand mitten im Raum, und wir alle mussten unsere Geschäfte dort erledigen. Wir waren etwa 20 Menschen. Die Gefangenen hatten eine Plastikwand hochgezogen, um sich etwas Privatsphäre zu schaffen. Die Bedingungen waren schrecklich. Es war ein Albtraum. 

Dort hatten sie mich am Anfang festgehalten. Nach etwa einer Stunde in diesem Raum, nahmen sie mich für ein Verhör mit. Aber ich verstand ihre Sprache nicht, und sie konnten kein Englisch sprechen. Mein Englisch war damals nicht so gut, jetzt ist es besser, weil ich im Gefängnis etwas Englisch gelernt habe. Einer der Gefangenen in diesem Verlies war glaube ich ein Pakistani. Er konnte ein bisschen gebrochenes Farsi sprechen, aber eben sehr schlecht. Und er wurde sozusagen als Übersetzer eingesetzt. Aber ich konnte nicht verstehen, ob das, was er übersetzte, überhaupt dem entsprach, was ich ihm erzählte. Sein Farsi konnte ich auch nicht gut verstehen. Ich hatte also keinen Übersetzer, denn jemand, der nur ein Wort übersetzen kann, zählt nicht wirklich als Übersetzer.

Dieses Verhör dauerte vielleicht fünf oder zehn oder 15 Minuten – ich kann mich nicht erinnern. Schließlich legten sie mir ein Papier vor und sagten, ich solle unterschreiben. Ich verstand nicht, was darauf stand.  Sie sagten nur: „Unterschreib es.“ Ich sagte: „Ich kann nicht etwas unterschreiben, von dem ich nicht weiß, was es ist, “ Daraufhin stand einer der Polizisten auf – sie waren alle in Zivilkleidung – und forderte mich auf, ebenfalls aufzustehen. Ich erhob mich und dann trat mich der Polizist mit Wucht in mein linkes Bein und ich fiel zu Boden. Er hob mich auf, zeigte auf das Dokument und sagte „sign, sign!“ Dann verstand ich, ich hatte keine Wahl, ich musste unterschreiben, auch wenn mir unklar blieb, was ich unterschrieb. Später stellte ich fest, dass die griechischen Gerichte genau auf der Grundlage dieser Polizeiberichte, die die Polizei anfänglich besorgt, und die ich unwissend unterschreiben musste, ihre Urteile fällen.

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© YORGOS/imagistan

Danach nahm die Polizei meine Fingerabdrücke ab und in dem Zuge auch meine Medikamente. Ich habe Prostatakrebs und benötige Medikamente. Ich bat sie, mir meine Medikamente zurückzugeben, sie weigerten sich. Nach dem Verhör verbrachte ich noch etwa eine Woche dort, in diesem schrecklich schmutzigen Raum, der nach Verwesung roch. Die Bedingungen dort verschlechterten meinen Gesundheitszustand drastisch. Ich bekam Herzprobleme. Schließlich kam ein Arzt, der untersuchte mich und ich wurde woanders hin verlegt, diesmal in eine offizielle Polizeistation. Dort war die Situation zumindest ein wenig besser. 

 

Entschuldige bitte, falls ich deine Frage nicht genau beantwortet habe. Mein Gedächtnis ist etwas lückenhaft nach all dem. Ich verliere oft den Faden, vergesse, worüber ich sprechen wollte. 

Du bist unschuldig. Das steht außer Frage und wir alle wissen das. Dennoch lautete das Urteil des Berufungsgerichts am 27.9.2024 nicht Freispruch. Es verringerte lediglich deine Haftstrafe. Was bedeutet dieses Urteil für deine Zukunftspläne?

 

Ich denke, die Richter hatten keine andere Wahl, als das Strafmaß zu reduzieren. Mein Anwalt, Herr Ladis, hatte im ersten Berufungsverfahren am 22. April 2024 das Gericht darauf hingewiesen, dass es gar keine Zeugen gegen mich gab. Das Gericht entschied aber, den Prozess zu vertagen, um einen Zeugen zu finden und ich wurde für weitere fünf Monate ins Gefängnis gesteckt. 

Das Gericht hatte jedoch keinen einzigen Zeugen finden können, der mich belastet hätte. Während des zweiten Berufungsprozess am 24. September 2024, behaupteten die Richter dennoch, sie hätten die Aussage eines Zeugen vorliegen. Aber selbst diese Aussage war unklar, ob sie wirklich von ihm stammte, sie war alles andere als glaubwürdig. Aus meiner Sicht sind die Gerichtsprozesse in Griechenland eher wie ein Spiel, weißt du wie ich das meine? Es geht um Formalitäten und darum, ein Urteil zu verlesen.

Meine Vermutung ist, dass die griechische Regierung ein Geschäft mit Migranten macht. Vielleicht fragst du dich, wie. Tatsächlich bekommt die Regierung von der Europäischen Union Geld für jeden Gefangenen. Ich weiß nicht, wieviel es heute ist, aber damals hatten mir mehrere Gefangene erzählt, dass es 73 € pro Tag seien. Dieses Geld wird jedoch nicht für die Gefangenen ausgegeben. Ich habe es einmal nachgerechnet: Mit allen Kosten – für die miserable Verpflegung, die Unterbringung, Polizeifahrten etc. – kommt man höchstens auf 27 oder 28 €. Die Gefangenen bekommen ansonsten nichts. Du kriegst am Anfang eine Decke, ansonsten kein Kissen, kein Laken, nichts. Du musst dir also alles selbst besorgen. Wenn du Geld hast, kannst du dir ein paar Sachen im Gefängnis besorgen und wenn du keins hast, dann musst du damit irgendwie zurechtkommen, leider. Was passiert also mit dem Rest des Geldes der EU? Vermutlich stecken sich die Behörden das in die eigene Tasche.

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© YORGOS/imagistan

Ich denke, dass das Gericht durch die Bemühungen von Herrn Ladis und der Kampagne gar keine Wahl hatte, als das Urteil abzumildern. Den Zeugen konnten sie nicht finden und alle anderen Mitfahrer hatten bezeugt, dass ich mit ihnen gemeinsam im Wald ausgeharrt hatte, bevor ich gezwungen wurde, das Auto zu fahren. Es gab nur diese eine Person, die behauptet hatte, sie hätte mich im Wald nicht gesehen. Diese Aussage und das Dokument, dass ich anfangs unterschreiben musste, stellte die Grundlage für meine Verurteilung dar.

Eigentlich hätte das Gericht das Urteil vollständig aufheben müssen. Das Urteil für Personen, die ein Auto steuern liegt, wie ich gehört hatte, eigentlich zwischen sechs Monaten und einem Jahr. Und obwohl wir vor Gericht beweisen konnten, dass ich gar kein Schleuser war, haben die Richter das Urteil nicht aufgehoben, sie haben nur das Strafmaß reduziert – von 18 Jahren auf sieben Jahre und einigen Monaten.

Im Grunde bin ich immer noch ein Gefangener. Ich bin auf Bewährung und muss für drei Jahre jeden Monat zur Polizeistation gehen, um mich zu melden. Die Stadt Thessaloniki darf ich nicht verlassen. Dadurch sitze ich eigentlich weiterhin im Gefängnis, nur in einem etwas Größeren – ein Gefängnis in der Größe einer Stadt. Mit meinem Verstand kann ich es nicht begreifen, warum ich weiterhin diese Einschränkungen habe. Ich finde dafür keine einzige logische Erklärung. 

Derzeit sitzen allein in Griechenland über 2000 unschuldige Migrant*innen im Gefängnis, weil sie aufgrund der menschenverachtenden Migrationspolitik der EU als Schmuggler verurteilt wurden. Wenn diese Menschen dich hören könnten, was würdest du ihnen gerne mitteilen?

Tatsächlich habe ich diesem Interview hauptsächlich zugestimmt, weil ich hoffe, dass es vielleicht denjenigen helfen kann, die unschuldig sind. Sicher, es gibt auch Menschen, die tatsächlich Schmuggler waren, aber das Interessante ist ja, dass die immer sehr schnell freigelassen werden. 

Beispielsweise erinnere ich mich – das war ich noch in Korydallos – an eine Person, die zu uns in die Zelle kam. Er war ein professioneller Schmuggler aus Istanbul. Er war mit zwei Schiffen erwischt worden, die 120 Passagiere transportierten. Nach sieben Monaten wurde er wieder freigelassen. Absolut überraschend. Er erzählte, dass er auch eine Menge Geld gezahlt habe – 150.000 Euro – und, dass er seinen Anwalt bezahlt habe, um freizukommen. Ich musste lachen. Wie kann jemand, der so viele Passagiere gegen Geld geschmuggelt hat, so schnell freikommen?

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© YORGOS/imagistan

Hier sind die Gesetze auf den Kopf gestellt: Diejenigen, die schwerwiegende Straftaten begehen, bekommen entweder leichte Strafen oder werden sofort freigelassen. Aber die Menschen, die wie ich unschuldig sind – und es gibt so viele wie mich – bekommen sehr schwere Strafen. Absolut absurd. Manche Urteile lauten auf 30 Jahre, 40 Jahre, 70 Jahre, 100 Jahre, 300 Jahre oder sogar 1.500 Jahre. Es ist wirklich genau umgekehrt. Je mehr jemand in solche Aktivitäten verwickelt ist – das gilt auch für den Umgang mit Drogen – desto milder fällt das Urteil aus. 

 

Zum Beispiel wird jemand, der ein paar Gramm Drogen bei sich hat, vielleicht einfach selbst Drogen konsumiert, er wird zu sieben oder acht Jahren Haft verurteilt. Aber jemand, der zwei oder drei Kilo Drogen bei sich hat, bekommt nur eine milde Strafe. Es ist komplett unlogisch und seltsam. Alles steht Kopf.

Ich weiß nicht, warum das so ist. Aber aus meiner Sicht ist die größte kriminelle Organisation in Griechenland die Polizei selbst. Ich kann es nicht beweisen, aber ich bin mir sicher, dass sie Verbindungen zu den führenden Köpfen krimineller Netzwerke haben – sei es im Drogenhandel oder in anderen illegalen Aktivitäten.

Es fällt mir nicht leicht, über diese Dinge zu sprechen. Es ist unglaublich hart für mich, diese Erinnerungen wachzurufen. Ich habe wirklich sehr viel gelitten. Meine Hoffnung ist einfach: Wenn ich über diese Dinge spreche, kann ich vielleicht dazu beitragen, dass sich etwas ändert. Vielleicht kann ich denjenigen damit helfen, die jetzt im Gefängnis sitzen. Ich weiß einfach, dass die meisten von ihnen unschuldig sind. Ich habe mit ihnen zusammengesessen, mit ihnen gesprochen, mit ihnen gelebt. Dabei erkennst du einfach, was es für Menschen sind. Wegen Drogen oder Schmuggel landen sie im Gefängnis – vielleicht auch Diebstahl, dazu kann ich nicht viel sagen. 

Ich erinnere mich an eine Person im Gefängnis, er war ein sehr netter Mensch. Er hatte vier Kinder, ich glaube er war aus Istanbul. Seine Familie war bereits in Griechenland. Sie wollten nach Deutschland auswandern, und er wollte ihnen folgen. Ich weiß nicht genau warum, aber er saß auf dem Weg nach Griechenland auch am Steuer eines Autos. Vielleicht hatte er kein Geld oder er wurde auch gezwungen. Jedenfalls haben sie ihn festgenommen. Seine Frau und Kinder wurden ebenfalls ins Gefängnis gesteckt. Vor Gericht erhielt er eine Strafe von 48 Jahren. Obwohl er unschuldig war. Er wollte nur zu seiner Familie, um gemeinsam nach Deutschland zu ziehen. Warum hat er eine Strafe von 48 Jahren erhalten? Ich weiß es nicht. Leider habe ich keinen Kontakt mehr zu ihm.

In diesem Weltgeschehen läuft vieles von der Wurzel an falsch. Vielleicht haben meine Worte einen kleinen Einfluss und helfen diesen unschuldigen Menschen. 

Gibt es etwas, was du dir für die Zukunft wünschst?

Wünsche? (Lacht). Nun, ich bin jetzt 60 Jahre alt. Vielleicht werde ich noch 30 oder 40 Jahre zu leben haben. Das Leben kann wirklich schön sein – vorausgesetzt, man versteht es und imaginiert es nicht einfach. Das Leben kann dann sehr süß und sehr wunderbar sein. Im Moment ist es das nicht. 

Meins ist zurzeit grau. Sicher, ich habe viele Hoffnungen, aber ob ich sie angesichts meiner aktuellen Situation verwirklichen kann oder nicht, weiß ich nicht: mit einer Gefängnisvergangenheit, mit der Verpflichtung, drei Jahre lang jeden Monat zur Polizei zu gehen und zu unterschreiben, mit all den Problemen, die sie mir bereitet haben. 

Ich habe wirklich viel durchgemacht. Ich habe viel Schaden erlitten. Dinge, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie mir im Leben passieren könnten, sind passiert. Hoffnungen und Träume, die ich hatte, wurden mir genommen. Sie haben mich ins Gefängnis geworfen. Vier Jahre meines Lebens haben sie verschwendet. In dieser Zeit bin ich krank geworden, mein gesundheitlicher Zustand hat sich grundlegend verschlechtert und viele andere Dinge habe ich erlebt. Was für Wünsche könnte ich jetzt noch haben? Deine Frage nach den Wünschen ist nicht wirklich schwierig, aber es ist, als ob sie derzeit einfach keine Bedeutung für mich hat. 

Vielleicht ließe sich sagen, ich habe keine großen Wünsche für mich selbst, weil ich das alles, was mir passiert ist, nicht mehr richtig verstehen kann. Vielleicht entwickle ich irgendwann noch Wünsche. Aber momentan liegt zu viel noch im Dunklen und meine Situation ist noch viel zu unklar. 

Vielleicht ist mein einziger Wunsch, dass Kampagnen wie diese und ähnliche Aktionen – und vielleicht werde ich selbst in diesem Bereich aktiv – Menschen wie mir Freiheit bringen können. Menschen, die jetzt im Gefängnis sind, die unschuldig sind und immer noch inhaftiert bleiben. Die vielleicht Kinder haben, einen Partner haben, eine Familie haben. 

Danke für das Gespräch Homayoun Joon. Was hast du heute noch vor, nachdem unser Interview abgeschlossen ist?

Heute ist vielleicht einer der besten Tage meines Lebens. Meine beiden Kinder haben mich in Thessaloniki besucht. Ich möchte heute noch so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen. 

Wir setzen uns weiter für den Freispruch von Homayoun Sabetara und aller Migrant*innen ein, die wegen "Schmuggels" kriminalisiert werden. Unterstütze unsere Arbeit mit einem Beitrag zu den Prozesskosten.

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