top of page

Die Politik ist kriminell,

nicht die Menschen!

BLOG

JAN 2023

Januar des Jahres 2023 ist da und das Wetter wird zunehmend kälter. Vor 18 Monaten war das Wetter noch warm und es war August, als mir die Freiheit geraubt wurde und sie mich nach Corydalis in Athen brachten. Dreimal war ich seitdem an der frischen Luft, jedesmal auf dem Weg zum Gericht.

Das letzte Mal, als ich vor Gericht stand, war der 26. September, der Tag, an dem ich zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde. Zunächst sollten es 70 Jahre Haft sein, durch die Anstrenungen meines Anwalts und Verteidigung meiner Tochter verkürzte sich die Haftzeit auf 25 Jahre, dann auf 18 Jahre.

Die Richterin, eine ältere Dame, die sich wahrscheinlich ausmalte, sie hätte den Haupt-Schuldigen gefunden, verkündete stolz ihr finales Urteil, dann legten sie mir die Handschellen wieder an und brachten mich nach oben, um sich meine Unterschrift zu besorgen.

Ich stand unter Schock und verstand nicht, was passiert ist. Mein Anwalt und meine Kinder sagten mir immer wieder, das sei das „Horror-Urteil“, mit dem Antrag auf Überprüfung, werde das Urteil aufgehoben und in 18 Monate wäre ich frei. Nach einigen Augenblicken, die sich anfühlten wie eine Ewigkeit, erfasste mich Scham, ich fühlte mich gedemütigt. Meine Kinder hatte ihre Arme um mich gelegt und meine Gedanken wanderten zu meiner verstorbenen Frau, ich wusste nicht, ob sie mich gerade sieht oder nicht. Ein Lied von Mohammad Nouri (ein iranischer Sänger) fiel mir wieder ein: „ In der kalten Winternacht brennt nicht einmal der Ofen der Sonne so warm wie der Ofen meines Lichts und kein Licht brennt so hell wie mein eigenes Licht.“

Nach dem schmerzlichen Abschied von meinen Kindern, stieg ich in den Gefägnis-Bus, der besteht aus engen Vier-Personen-Zellen und brachte mich zurück nach Corydalis. Seit meinem letzen Prozess sind vier Monate vergangen und ich schreibe. Ich gebe mich meinen Tagträumen hin, träume von Freiheit. Es fühlt sich an, als würde mein Verstand immer langsamer, auf auf meine Gedanken folgt kein Fazit, sie drehen weiter, unaufhörlich, immer weiter im Kreis.

© ADRIAN POURVISEH

FAQ

  • Als Schmuggel wird der unerlaubte Transport von Menschen über Grenzen bezeichnet. Im Gegensatz zu Menschenhandel geschieht Schmuggel im Einverständnis mit den beförderten Personen. Asyl zu suchen ist ein grundlegendes Menschenrecht und damit auch in Europa ganz legal. Das Asylgesuch kann nur im Ankunftsland selbst gestellt werden. Jedoch: Für die meisten Menschen gibt es keine Möglichkeiten mehr, legal nach Europa einzureisen. Sie müssen also erst über illegalisierte Wege - wie das Mittelmeer oder die Balkanroute - nach Europa kommen, um dann hier ihren legalen Asylgesuch zu stellen. Hierfür sind sie wiederum auf Schmuggler:innen angewiesen.

  • Die Antwort auf die Frage sollte sein: Immer. Doch die Realität sieht anders aus. Während Europa die einen Schmuggler*innen als humanistische Fluchthelfer:innen feiert, kriminalisiert sie andere für die gleiche Hilfe. In beiden Fällen gilt: Schmuggler*innen sind Menschen. Das dämonisierte Bild, das europäische Politiker*innen und Mainstream-Medien von den meisten Schmuggler*innen zeichnen, trägt nur dazu bei, diejenigen zu kriminalisieren, die zum Schmuggeln gezwungen sind. Anstatt die brutale und menschenverachtende Grenz- und Migrationspolitik zu skandalisieren, werden jene Einzelpersonen brutal und menschenverachtend behandelt, die sich in lebensgefährliche und ausbeuterische Situationen begeben müssen. Menschen werden kriminalisiert, weil sie sich in Situationen, in denen es um Leben und Tod geht, gegenseitig geholfen haben. Sie werden inhaftiert, weil sie menschenwürdig handelten.

  • Menschen, die fliehen, haben meistens keine anderen Alternativen. Gäbe es sichere Fluchtwege, würden sie diese nutzen. Sie müssten nicht eine unwürdige, ausbeuterische und lebensgefährliche Arbeit übernehmen. Die Kriminalisierung von Menschen während ihrer eigenen Migration ist Teil der europäischen Abschreckungspolitik.

    Menschenschmuggel zu kriminalisieren, bekämpft jedoch weder die globalen Ungerechtigkeiten, die zur Flucht führen, noch die Migration. Es macht nur die Menschen, die um ihr Leben kämpfen und fliehen müssen, erst zu Schmuggler*innen und dann zu ”Kriminellen”. Und so landen jährlich hunderte Menschen in Gefängnissen, müssen hohe Strafen zahlen, manchmal lebenslange Haft absitzen.

  • Grundlage für die Inhaftierungen ist die griechische Gesetzgebung, nach der jede Person, die Fahrer*in eines Gefährts ist, mithilfe dessen Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere nach Griechenland einreisen, ein Schmuggler ist. Bei beinahe jeder Ankunft eines Bootes oder Autos mit Migrant*innen nehmen die Grenzbeamt*innen vor Ort willkürlich mindestens eine Person fest und beschuldigen sie des Schmuggels. Das kann die Person sein, die das Ruder oder die Pinne hielt, um das Boot zu lenken, oder die Person, die mit der Küstenwache kommuniziert hat, um Hilfe zu rufen. Manchmal ist es auch einfach jemanden, der Englisch spricht. Die Menschen werden ohne ausreichende Beweise meist noch vor Ort verhaftet. 

  • In Griechenland sind Migrannt*innen, die wegen illegaler Einreise verurteilt werden, mittlerweile die zweitgrösste Gruppe in den Gefängnissen.  Die Bedingungen, unter denen sie dort leben müssen, bezeichnete ein Ausschuss des Europarats kürzlich erneut als Verstoß gegen die Menschenwürde. Im September 22 betrug die Zahl der inhaftierten Personen 11’182 bei einer maximalen Kapazität von 10’175, was einer durchschnittlichen Belegungsrate von 110 Prozent entspricht, hielt der CPT-Bericht fest. In einigen Gefängnissen war die Überbelegung noch weitaus gravierender. Das Korydallos-Gefängnis, in dem auch Homayoun Sabetara seit September 2021 festgehalten wird, hatte zu diesem Zeitpunkt eine Belegungsrate von 152 Prozent.  Homayoun berichtete, dass er sich 16 Monate lang einen kleinen Raum mit bis zu 20 Personen teilen musste. Im Gefängnis gibt es kein warmes Wasser, und aufgrund der Überbelegung müssen viele Insassen auf dem Boden schlafen. Die Qualität des Essens ist schlecht (normalerweise nur Nudeln ohne Sauce), und es gibt nicht genug Nahrungsmittel für alle Insassen.

    Quelle: https://www.coe.int/en/web/cpt/-/council-of-europe-anti-torture-committee-publishes-report-on-prisons-in-greece

  • In den griechischen Gefängnissen findet kein Strafvollzug statt, der europäischen Anforderungen entspricht. Die materiellen Bedingungen sind unangemessen, es herrschen eine erhebliche Personalunterbesetzung und eine unzureichende medizinische Versorgung. Homayoun wurde vor sechs Jahren wegen Krebs operiert und muss seitdem regelmäßig Medikamente einnehmen, was er monatenlang nicht bekommen hat. Seit seiner Inhaftierung und das bleibens in einem Raum im Keller mit 20 anderen Menschen wo es kaum Luft gab, leidet er unter Atembeschwerden und Husten, erhält jedoch keine angemessene medizinische Versorgung, einschließlich grundlegender Medikamente wie Asthmasprays oder Brillen. Er hat monatelang keine medizinische Untersuchung erhalten und klagt über Schmerzen, die durch das Schlafen auf dem Boden oder auf sehr schlechten Matratzen verursacht wurden. Seine Nackenarthrose erschwert es ihm sogar zu sitzen.

     

    Quelle: https://www.coe.int/en/web/cpt/-/council-of-europe-anti-torture-committee-publishes-report-on-prisons-in-greece

  • Viele Personen werden direkt bei ihrer Ankunft in Griechenland verhaftet. Während der ca. ein Jahr dauernden Untersuchungshaft bleiben die Gefangenen zumeist ohne jegliche Informationen oder Rechtsbeistand. Wenn ihr Fall schließlich vor Gericht kommt, missachten die Prozesse oft grundlegende Standards einer fairen Prozessführung. Die Gerichtsverhandlung dauert im Schnitt lediglich 38 Minuten und mündet in einer durchschnittlichen Freiheitsstrafe von 44 Jahren. Innerhalb von einer halben Stunde werden Menschen zu Haftstrafen von 50 bis 150 Jahren und Geldstrafen von mehreren 100'000 Euro verurteilt. Diese Strafen setzen sich aus einer Anzahl Jahre pro Person, die sich im Auto oder Boot befand, zusammen. Kam es zu einem Schiffbruch, kommen Anklagepunkte wie Totschlag hinzu. Es ist zwar möglich, gegen diese Urteile Einspruch zu erheben, dafür braucht es aber anwaltliche Unterstützung, Geld und Öffentlichkeitsarbeit. Ist alles drei vorhanden, kann es durchaus zu Einstellungen oder Freisprüchen kommen, wie einige Fälle der letzten Monate gezeigt haben.

     

    Quelle: https://www.borderline-europe.de/unsere-arbeit/griechenland-familienvater-zu-18-jahren-haft-verurteilt-weil-er-ein-auto-mit

MEDIENARBEIT

Hier findet sich eine Auflistung aller Artikel und Beiträge, die bisher über Homayoun und seinen Fall veröffentlicht wurden.


Jeder zusätzliche Beitrag hilft Aufmerksamkeit auf den Fall zu lenken. Bei Interesse zu weiteren Informationen oder Interviews, stehen wir gerne über den Kontakt nodrivernosurvivor@systemli.org zur Verfügung.

Migrants-as-smugglers: Europe's criminalization of people on the move

Over the past few years, EU governments have been clamping down heavily on migrant smuggling. But those taken into custody are often migrants who have found themselves in the wrong place at the wrong time, while the actual smugglers get off free.

ARTICLES

DAYS TILL HOMAYOUN'S TRIAL

Schleuser-Kriminalität: Die Falschen vor Gericht?

Über 500 Menschen sind im Juni auf einem überfüllten Fischkutter gestorben, der vor der Küste Griechenlands gesunken war. Kurz darauf nahmen die griechischen Behörden neun Ägypter fest, die überlebt hatten. Ihnen drohen lebenslange Haftstrafen. Immer wieder werden in Griechenland Geflüchtete als Schlepper verurteilt, während die eigentlichen Schleuser ungestraft davonkommen. Möglich macht das eine umstrittene EU-Richtlinie.

VIDEOS

Von Schmuggel und Fluchthilfe

Was würdet ihr tun, wenn euer Vater zu Unrecht im Gefängnis säße? Mahtab Sabetara kämpft mit Ihrer Initiative @freehomayoun, um ihren Vater zu befreien. Sie redet in der neuen Aydentity Podcast Folge mit Adrian Pourviseh darüber, wie sie mit Menschen umgeht, die ihren Vater als "Schmuggler" verurteilen.

PODCASTS

bottom of page